Das Fernweh schlägt jetzt voll und ganz zu. Endlich mal wieder einen Cappuccino in einem italienischen Straßencafé trinken! Endlich wieder zum Shoppen nach London düsen! Endlich mal wieder in einem Hotelpool auf einer thailändischen Insel planschen! Das hieße aber auch: Endlich mal wieder Flug-Emissionen in die Luft blasen! Endlich mal wieder Müllberge verursachen! Endlich mal wieder in von Trockenheit betroffenen Ländern noch mehr Wasser verbrauchen! Reisen hat viele positive Auswirkungen. Aber eben auch negative, zum Beispiel auf die Umwelt oder auf andere Menschen.
Wir wollen genießen – und ausblenden
Dieser Wahrheit wollten wir lange nicht ins Gesicht blicken. Denn Reisen ist eine sehr emotionale Angelegenheit. In der vermeintlich „schönsten Zeit des Jahres“ wollen wir uns nicht von außen vorschreiben lassen, was ökologisch oder ethisch korrekt ist. Wir wollen genießen. Wir wollen uns erholen. Wir wollen für eine kurze Zeit dem Alltag entfliehen. Gerade jetzt, wo wir auf uns selbst zurückgeworfen sind, träumen wir uns in idyllische Paradiese wie das glitzernde Dubai oder das „authentische“ Hochland von Vietnam. Die Schattenseiten blenden wir aus.
Was wir uns endlich eingestehen könnten: Bisher sind wir genauso überhetzt gereist, wie wir uns durch den Alltag gestrudelt haben. Wir hatten oft weder die Zeit noch die Muße, nach links oder rechts zu schauen. Wir sind durch Städte und Länder gerauscht, als wären sie schrille, billige und grell leuchtende Jahrmarktattraktionen. Wir erfreuten uns an der beeindruckenden Natur, die wir durch unser Reiseverhalten gleichzeitig mit Füßen traten. Wir haben in erfrischenden Hotelpools geplanscht, obwohl die Wasserreservoirs der Einheimischen austrockneten. Wir haben in weichen Hotelbetten geschlafen, während die Angestellten in der Rezeption am Boden ihr Nachtlager aufschlugen.
Reisen nach Corona: Weitermachen wie bisher?
Jetzt, wo uns aufgezeigt wird, wie die Natur sich erholt, wenn wir sie nicht mehr länger überstrapazieren: Wollen wir da wirklich weitermachen wie bisher? Oder könnten wir die aktuelle Situation dafür nutzen, einen ganz neuen Weg einzuschlagen? Einen touristischen Weg, der ohnehin längst überfällig ist? Einen verantwortungsvollen Weg, von dem wir alle profitieren? Die Frage, die sich Reiseliebhaber dieser Tage stellen, sollte nicht heißen: Wann können wir endlich wieder reisen? Sondern: Wie werden wir künftig ökologisch und sozial verträglicher reisen?
Achtsam zu reisen sollte mehr als eine Notlösung sein
Dafür reicht es nicht, im Sommer ausnahmsweise mal auf Balkonien oder an die heimischen Badeseen auszuweichen. Nur, um wieder eine Fernreise nach der anderen zu konsumieren, sobald die Grenzen offen und die Airlines gerettet sind. Der Flugverkehr ist aufgrund der Corona-Pandemie weltweit um rund zwei Drittel eingebrochen. Was bisher undenkbar war, ist jetzt Realität. Auf das Klima wirkt sich das aber nur langfristig positiv aus, wenn auf Dauer viel weniger geflogen wird. Allein deshalb sollte das „Revival der Sommerfrische“, das jetzt plötzlich viele hinausposaunen, mehr als eine Notlösung sein.
Denken wir völlig neu! Nutzen wir die Entschleunigung, um uns zu überlegen: Warum haben wir Reisen bisher konsumiert, als wären es billige Wegwerfprodukte? Inwiefern haben uns die Urlaube als Statussymbol gedient? Warum können wir auf vieles verzichten – nur auf das Reisen nicht? Wir haben die Wahl, zu murren und uns die vermeintliche „Normalität“ zurückzuwünschen. Oder wir blicken genauer hin, üben uns in Dankbarkeit, Zufriedenheit und innerem Wachstum. Mit dieser Haltung lässt sich das Potenzial des vermeintlichen Stillstands so nutzen, dass wir automatisch weg von Konsum- und Effizienzgedanken rücken – auch beim Reisen.