Reisefotograf Michael Martin: „Die Erde steht in der Blüte ihrer Zeit”

Der Fotograf Michael Martin in Peru
Kurze Auszeit vom Fotografieren: Michael Martin in Peru
Noch nie waren die Lebensbedingungen auf dem Planeten so optimal. Zugleich wirkt der Mensch zerstörerisch. Der Fotograf und Diplom-Geograf Michael Martin hält diesen Widerspruch in seinen Bildern fest. Und erklärt, warum die Erde in ferner Zukunft unbewohnbar sein wird.
Wir leben in einem optimalen Zeitfenster. Wir sollten das als Menschen einfach mal verstehen“, sagt Michael Martin im Gespräch mit kofferpacken.at. Als Fotograf und Diplom-Geograf hat der in München lebende Abenteurer mehr als 300 Fernreisen hinter sich. In seinem neuen Bildband „TERRA. Gesichter der Erde“ zeigt er ein umfassendes Bild des blauen Planeten. Wie hat sich die Welt in 40 Reisejahren in seinem Inneren „abgebildet“? Was hat sich verändert? Würde er künftig aufs Fliegen verzichten? Warum wird die Erde in absehbarer Zeit unbewohnbar sein? Und wieso lohnt es sich trotzdem, zu handeln?

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kofferpacken.at: Mit Ihren Bildern zeigen Sie die Schönheit der Welt. Ist uns Menschen klar, wie gefährdet unser Planet ist?

Michael Martin: Ich denke, vielen Menschen ist das nicht klar. Das liegt daran, dass die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten lebt. Wir haben den Kontakt zur Natur völlig verloren. Aber jeder Bergwanderer weiß, wie schön die Natur ist. Ich zeige auf meinen Bildern die schönsten Naturlandschaften um klar zu machen, was wir verlieren, wenn wir so weitermachen.

kofferpacken.at: Um für Ihren neuen Bildband “TERRA” zu fotografieren, haben Sie seit 2017 viele Reisen auf der ganzen Welt absolviert. Wie viele Länder haben Sie besucht und wie lange waren Sie jeweils vor Ort?

Michael Martin: Speziell für diesen Bildband habe ich 32 Reisen weltweit gemacht, den größten Teil bis 2020 zum Lockdown. Insgesamt war ich dafür 600 bis 700 Tage unterwegs und habe in zehn verschiedenen Naturlandschaften fotografiert.

Laguna Verde in Bolivien
Die Laguna Verde in Bolivien

kofferpacken.at: Welches Gefühl ist von all den Eindrücken und Begegnungen zurückgeblieben? Wie hat sich die Welt in Ihrem Inneren „abgebildet“?

Michael Martin: Eigentlich sind nur positive Gefühle geblieben. Ich habe auf der ganzen Welt stets gute Erfahrungen mit Menschen gemacht. Es heißt ja: Wie man in den Wald ruft, so hallt es zurück. Natürlich gibt es überall Halunken und Ganoven, aber das ist die absolute Minderzahl.

kofferpackenat: Was hat sich in dieser Zeitspanne verändert?

Michael Martin: Was mir in den 40 Jahren auf Reisen aufgefallen ist, ist der extreme Kulturwandel. Es ist sehr viel an traditionellem Leben verloren gegangen, von der Kleidung über den Hausbau bis zur Musik. Natürlich habe ich auch bemerkt, was sich durch den Klimawandel verändert hat. Insbesondere in den Hochgebirgsregionen, in der Antarktis, der Arktis oder am Rückgang des Meereseises und der Gletscher.

kofferpacken: Wie lautet Ihr Fazit nach so vielen Reisejahren?

Michael Martin: Die Erde ist einzigartig. Das soll mein Bildband zeigen – was für ein Glücksfall die Erde ist. Ich ziehe ja die ganz große räumliche und zeitliche Perspektive auf. Ich habe mich viel mit Erdgeschichte und der Zukunft der Erde beschäftigt. Dabei zeigt sich deutlich, dass wir heute in den besten aller Zeiten leben.

Insel in Polynesien
Eine Insel in Polynesien aus der Vogelperspektive

kofferpacken.at: Inwiefern?

Michael Martin: Wir haben heute optimale Verhältnisse, was Parameter wie Sauerstoffgehalt, Temperaturen, Artenvielfalt oder die Verteilung der Landmassen angeht. Es ist schon erstaunlich, wie sich die Erde in viereinhalb Milliarden Jahren zu diesem blauen Planeten entwickelt hat. Denn in der Erdgeschichte gab es zahlreiche Katastrophen, von Vulkanausbrüchen bis zu Meteoriteneinschlägen oder Sauerstoffkatastrophen. Aber die Erde hat sich immer wieder gefangen und steht jetzt in der Blüte ihrer Zeit.

kofferpacken.at: Warum ist der Planet trotzdem im Krisenmodus?

Michael Martin: Das Problem ist der Mensch, der vor 180.000 Jahren die Bühne betreten hat. Seitdem hat er die Erde massiv verändert. Der Mensch wird sie zwar nicht zerstören. Aber er wird vermehrt die eigenen Lebensgrundlagen zunichte machen.

kofferpacken.at: Neben der Schönheit der Welt dokumentieren und beschreiben Sie auch die Folgen von Klimawandel, Artensterben, Wasserverbrauch, Urbanisierung und Hunger. Sie haben selbst eine noch sehr junge Enkeltochter. Wie wird die Welt aussehen, wenn sie in ihren Dreißigern ist?

Michael Martin: Sie werden sich wundern: Ich bin kein Pessimist. Ich glaube, dass die Menschheit langsam aufwacht. Selbst Länder wie China oder Indien merken, dass sie handeln müssen. Indien erzeugt mittlerweile mehr Strom aus regenerativen Energien als über Kohlekraftwerke. Wir Menschen dürfen natürlich nicht denken, dass das von selber wieder wird. Die Hände in den Schoß zu legen ist der falsche Weg. Aber ich glaube, wir werden auf Dauer eine Lösung für das Klimaproblem hinbekommen. Bisher denkt die Politik ja meist nur im Vierjahresrhythmus bis zur nächsten Wahl. Ich habe schon das Gefühl, dass sie nun aufwacht.

Vulkan Bromo Indonesien
Vogelperspektive auf den indonesischen Vulkan Bromo

kofferpacken.at: Wie also lautet Ihre Einschätzung der Zukunft?

Michael Martin: Es wird ja erwartet, dass sich die Machtzentren in Richtung China, Indien und Pazifik verschieben. Der sogenannte globale Süden wird sein Recht einfordern, in der Entwicklung aufzuholen. Ich denke, dass wir den Klimawandel technisch in den Griff bekommen. Viel dramatischer ist das Artensterben, weil die Arten kommen ja nicht wieder zurück. Wir blicken zurecht sorgenvoll in die Zukunft. Aber ich denke, so wie die Menschheit in der Lage ist, die Erde zu zerstören, so ist sie auch in der Lage, sie zu retten. Dafür müssen wir etwas tun.

kofferpacken.at: Wie wollen Sie mit Ihren Bildern dazu beitragen?

Michael Martin: Mein Gott, da bin ich ein ganz, ganz kleines Rädchen. Ich denke: Nur das, was man weiß, schätzt und schützt man. Das Buch beinhaltet ja sehr viele geografische Texte und erklärt Zusammenhänge ganz nüchtern und verständlich. Ich versuche, dadurch eine Faszination für die Natur und die Erde zu schaffen. Ich finde es traurig, dass der Erdkundeunterricht heute so zurückgefahren ist, dass die Kinder und Heranwachsenden keine Ahnung mehr von unserem Planeten haben. Solche Basisfakten bringe ich in dem Buch. Das ist die Voraussetzung, um Verständnis für unseren Planeten zu schaffen.

kofferpacken.at: Immerhin hängt ja alles miteinander zusammen …

Michael Martin: Genau. Die Erde ist ein Organismus wie unser Körper. Wenn man bei einem Menschen die Leber entfernt, dann stirbt er. Und wenn wir die Atmosphäre der Erde kaputtmachen, dann fehlt eben auch ein Element. Es ist logisch, dass dieses empfindliche System Erde von uns Menschen nicht derart strapaziert werden darf. Die Erde wird uns Menschen überleben, das ist völlig klar. Aber wir müssen uns auch darüber im Klaren sein, dass wir an unserem eigenen Ast fällen.

Der Fotograf Michael Martin am Dallol in Äthiopien
Der Fotograf im Einsatz am Dallol, einem Geothermalgebiet in Äthiopien

kofferpacken.at: Die Erde bewahren und beschützen – was heißt das in Bezug auf das Reisen?

Michael Martin: Am klimaneutralsten ist es natürlich, zu Hause zu bleiben. Aber andererseits haben Reisen und Tourismus auch viel Positives geschaffen. Angefangen von Arbeitsplätzen auf der ganzen Welt bis zum Tierschutz. Ich Afrika gäbe es keinen einzigen Elefanten mehr, wenn der Tourismus nicht wäre. Alles, was wir Menschen tun, hat einen CO2-Abdruck. Für mich kommt es auf das Wie an.

kofferpacken.at: Sie selbst bereisen seit 40 Jahren die Welt, von der Wüste bis zum Nordpol, und berichten darüber in Büchern und Vorträgen. Wie stehen Sie persönlich zum Ressourcenverbrauch, der mit diesen Reisen einhergeht?

Michael Martin: Ich versuche etwa, nicht quer durch die Weltgeschichte zu fliegen, sondern verschiedene Ziele miteinander zu verbinden und länger zu bleiben. Wenn es irgendwie geht, bin ich mit dem Zug unterwegs. In Deutschland habe ich die Bahncard 100 und fahre viel mit dem Zug. Aber die Konsequenz zu ziehen und zu sagen “Ich darf nicht mehr reisen” wäre wie ein Berufsverbot für mich als Reisefotograf. Das geht mir zu weit. Ich denke, hier ist auch die Technik gefragt, “grüne” Treibstoffe zu entwickeln und das Fliegen sauberer zu machen. Aber trotzdem gebe ich Ihnen Recht: Ein Reisefotograf hat keinen guten CO2-Abdruck. Das ist ein Dilemma, in dem ich stehe. Das gebe ich zu.

kofferpacken.at: Würden Sie rückblickend beim Reisen etwas anders machen? Und wenn ja, was?

Michael Martin: Ich würde das Motorrad weglassen. Motorradfahren ist ja ziemlich nutzlos. Das hat mir das Fotografieren auch immer schwierig gemacht. Man ist sehr erschöpft und konzentriert sich hauptsächlich auf das Fahren. Was ich auch ein wenig bereue, ist das Filmen. Das hat mir zwar tolle Filmprojekte eingebracht. Aber es zieht ganz viel Kraft und Konzentration vom Fotografieren ab. Was den Reiserhythmus und die Reiseziele betrifft: Da ich eine Familie und Kinder habe, konnte ich nicht einfach mal ein Jahr lang weg sein. Ich habe immer versucht, auch ein normales Leben zu führen und mich beim Reisen entsprechend danach gerichtet. Das würde ich wieder so machen.

kofferpacken.at: Fliegen wurde lange Zeit wenig hinterfragt. Das öffentliche Bewusstsein für den enormen ökologischen Fußabdruck von Flugreisen ist erst in den vergangenen Jahren gewachsen. Wie stehen Sie zum Fliegen?

Michael Martin: Auch mir ist bewusster geworden: Wenn ich ins Flugzeug steige und nach Amerika fliege, stoße ich damit mindestens die Emissionen eines ganzen Jahres aus. Aber daheim bleiben ist für mich keine Alternative. Auf die Tourismusbranche einzuschlagen ist natürlich wahnsinnig einfach. Wie schon gesagt, kommt es immer auf das Wie an. Und es gibt Industriezweige, die noch viel klimaschädlicher sind. Darüber hinaus: Manchen Menschen mit verengtem Blick würde es vielleicht auch mal gut tun, die Welt zu sehen und ihre Ansichten zu korrigieren.

Dünen in der Wüste Rub al Khali
Wellenförmige Sanddünen in der Wüste Rub al Khali auf der arabischen Halbinsel

kofferpacken.at: Sie widmen sich in Ihrem Bildband TERRA auch der Zukunft der Erde. Wie wird sich unser Planet entwickeln?

Michael Martin: Die Geschichte der Erde war äußerst dynamisch. Es gab unterschiedliche Stadien. Die Erde war früher einmal Magmaozean, vereist, komplett vom Meer bedeckt. Die Erdgeschichte ist ja mit dem heutigen Tag nicht zum Stillstand gekommen. Sowohl die Kontinente wandern als auch die Platten werden sich weiter verschieben. Es wird einen neuen Riesenkontinent geben, Pangaea Proxima. Das macht die Erde wesentlich trockener.

kofferpacken.at: Die Erde wird wieder zur Wüste?

Michael Martin: Ja. Von der Entwicklung her haben wir zwar künftig einen sinkenden CO2-Gehalt. Es müsste also viel kälter werden auf der Erde. Das wird aber gegenkompensiert durch eine immer heißer werdende Sonne. Die Sonnenstrahlung wird immer stärker und letztendlich wird die Sonne zum Roten Riesen. Bereits in 1,5 Milliarden Jahren wird die Sonneneinstrahlung so hoch sein, dass die Durchschnittstemperatur bei 50 Grad Celsius liegen wird. Damit ist kein Leben mehr möglich. Dann ist die Erde wieder der Wüstenplanet, der er einmal war.

kofferpacken.at: Das einzig Stete ist also die Veränderung. Warum lohnt es sich trotzdem, dem Klimawandel zu trotzen?

Michael Martin: Das klingt alles sehr apokalyptisch. Aber es sollte auf keinen Fall eine Ausrede sein, in puncto Klimawandel nicht zu handeln. Eineinhalb Milliarden Jahren ist ein unendlich langes Zeitfenster. Den Menschen gibt es im Vergleich dazu erst seit 180.000 Jahren. Normalerweise haben Arten eine Lebensdauer von einer Million Jahre auf der Erde. Insofern lohnt es sich, sich zu bemühen, die nächsten paar Tausend Jahre auskömmlich zu gestalten. Wir leben in einem optimalen Zeitfenster. Wir sollten das als Menschen einfach mal verstehen. Wir müssen uns um die nächsten 100 Jahre kümmern, um die Lebensverhältnisse unserer Enkel und Urenkel zu sichern.

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Bildband Terra Michael Martin Verlag KnesebeckDer Bildband „TERRA – Gesichter der Erde“ (Verlag Knesebeck) von Michael Martin ist im September 2022 erschienen. Auf 448 Seiten präsentiert der Fotograf und Diplom-Geograf in Bild und Text ein umfassendes Porträt der Erde. Es zeigt nicht nur die Schönheit der Welt auf, sondern auch die Folgen von Klimawandel und Artensterben und macht einen Blick in die Zukunft.

Termine für die Live-Show 'TERRA'
25. Jänner 2023: Urania, Wien
2. März 2023: Forum Rum, Innsbruck
21. März 2023: Studio Stumpfl, Wallern an der Trattnach
11. November 2023: Orpheum, Graz

Tickets unter: www.michael-martin.de

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2 Kommentare

  • Das ewige Dilemma der Reisenden und Entdecker wunderbarer Orte. Man möchte sie anderen zeigen und zugleich bewahren. Das geht aber nur, wenn niemand anderes dorthin geht. (zumindest nicht in großem Stil).

    Ich denke, wenn wir uns zu viele Gedanken zum Klimawandel machen, überschätzen wir unsere menschliche Macht ein wenig und lenken womöglich von den viel greifbareren Problemen ab, die wir auf diesem Planeten verursachen.

    Dass es tolle Fotos sind, braucht man nicht extra erwähnen, oder? (-;

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