Nachhaltiger Winterurlaub: mit dem Zug zum Polarkreis

Schneelandschaft am Polarkreis
Stille Winterlandschaft in Schwedisch-Lappland
(KOOPERATION) Sozial und ökologisch verträglich reisen – geht das überhaupt? Christoph Mülleder vom Reisebüro Weltanschauen versucht es - auch im Winter. Wie, das erklärt er im Interview.

Fotos: Weltanschauen

(KOOPERATION) Mit dem Zug zu den Nordlichtern in Schwedisch-Lappland. Schneeschuhwandern in Rumänien. Eine sozialpolitische Stadtführung in Budapest: Christoph Mülleder vom nachhaltigen Reisebüro Weltanschauen macht beim Reisen mehr als reine Postkartenidyllen erlebbar. Vielmehr geht es ihm darum, bei seinen etwas anderen Gruppenreisen viel Raum für Begegnungen, Perspektivenwechsel und Horizonterweiterung zu schaffen. Gereist wird bis auf wenige Ausnahmen mit dem Zug und mit anderen öffentlichen Verkehrsmitteln – auch im Winter. Mit seinem sozial-ökologischen Zugang ist Weltanschauen wohl ein Unikat in Österreich. Was steckt hinter dieser Idee? Wie steht der Reisebüro-Gründer zu Greenwashing? Und welche Empfehlungen hat er für eine gelungene Reise?

AKTUELLE WINTERREISEN 2024

2. bis 10. Februar 2024: Winter in den rumänischen Karpaten – Winterwandern und siebenbürgische Begegnungen

10. bis 28. Februar 2024: Die Lange Nacht des Nordlichts – mit dem Zug nach Lappland

9. bis 20. März 2024: Nordlichter und Rentiere im Wildnisdorf am Polarkreis

Infos und Buchung unter: www.weltanschauen.at

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kofferpacken.at: Reisen bedeutet für viele Menschen persönliche Entwicklung und Horizonterweiterung. Was nimmst du von einer Reise mit?

Christoph Mülleder: Für mich ist ganz wichtig, dass ich bei einer Reise spüre: Wie ticken die Menschen dort? In welcher Umgebung leben sie? Welche Kultur haben sie? Welche Sorgen teilen sie? Was hat ihr Leben mit unserem Lebensstil zu tun? Und was kann ich vielleicht dazu beitragen, dass sich etwas verbessert? Einerseits durch meine Reise vor Ort, andererseits durch meinen veränderten Lebensstil zuhause.

kofferpacken.at: Wie gelingt es dir, Zugang zu einer Stadt oder einem Land zu finden?

Christoph Mülleder: Um einen Einblick in all diese Facetten eines Landes zu bekommen, sind Begegnungen extrem wichtig. Bei unseren Reisen treffen wir Menschen, gehen mit ihnen ins Gespräch und nehmen ihre Perspektive ein. Oft gelingt es zwar nicht ganz, die Vorurteile daheim zu lassen. Wichtig ist aber der Versuch, sich auf das Andere einzulassen. Wenn wir die eigene Position verlassen, sehen wir, was in anderen Ländern vor sich geht. Und auch, was die Menschen – trotz aller Schwierigkeiten – dort Tolles leisten. Im Grunde geht es um Bewusstseinsbildung für unsere eine Welt. Der Reiseschriftsteller Ilija Trojanow schreibt: „Reisen lehrt vieles. Aber das Wichtigste ist die Erkenntnis, wie willkürlich die eigenen Beurteilungen sind. Weil man immer wieder vor Augen geführt bekommt, dass die eignen Annahmen falsch oder fragwürdig waren.“

kofferpacken.at: Auf welche Art von Begegnungen kann man sich einstellen, wenn man eine Reise bei dir bucht?

Christoph Mülleder: Bei unserer winterlichen Schneeschuh-Reise in die rumänischen Karpaten wohnen wir bei Hermann und Katharina Kurmes. Sie betreiben die Villa Hermani, eine Öko-Pension. Hermann weiß viel über die rumänische Kultur, die Traditionen, aber auch über die Schwierigkeiten seines Landes zu erzählen. Er geht mit gutem Beispiel voran und zeigt, wie es trotz allem gehen kann. Auch Gespräche mit Caritas-Mitarbeiter:innen, politischen Journalist:innen von Sarajevo bis Brüssel oder Botschafter:innen sind spannend. In Iran haben wir zum Beispiel ein Treffen mit dem österreichischen Botschafter organisiert.

Winterreise in die rumänischen Karpaten

kofferpacken.at: Du betreibst nicht nur ein nachhaltiges Reisebüro, sondern arbeitest nebenbei auch als Caritas-Auslandsreferent. Wie verbindest du beide Welten miteinander?

Christoph Mülleder: Die Idee des Reisebüros hat sich aus meiner ursprünglich hauptberuflichen Tätigkeit für die Caritas Auslandshilfe ergeben. Damals haben wir für Mitarbeiter:innen jedes Jahr eine gemeinsame Reise ins Ausland organisiert, um die von uns betreuten Länder und Projekte besser kennenzulernen. Ich war für die Organisation dieser Reisen zuständig. Dabei habe ich gemerkt, was es bei den Kolleg:innen bewirkt hat, mit einem Land auf diese Weise in Berührung zu kommen. Das Reisen war ein lustvollerer Zugang als die Nothilfe. So kam die Idee auf, ein eigenes Reisebüro zu gründen. Seither verknüpfe ich beides miteinander, denn jede Reise hat auch soziale Aspekte. Das Schöne und das Schwierige widersprechen sich nicht. Der Blick darauf eröffnet viel mehr neue Perspektiven.

kofferpacken.at: Dein Reiseangebot ist möglichst ökologisch verträglich. Worauf achtest du dabei besonders?

Christoph Mülleder: Es geht um Fragen wie: Welche Quartiere wähle ich aus? Wo gehe ich essen? Wie bewege ich mich fort? Gibt es einen sozialökonomischen Betrieb, ein Biohotel oder zumindest einen Familienbetrieb? Welchen Fußabdruck hinterlasse ich? Zahle ich den Unternehmen und den Guides vor Ort einen fairen Preis? Werden Kinder- und Menschenrechte eingehalten? Und wie komme ich überhaupt dorthin? Das Flugzeug muss die absolute Ausnahme sein. Und wenn man schon fliegt, sollte man unbedingt kompensieren und lange genug vor Ort bleiben. Weltanschauen ist sehr konsequent, was den Transport betrifft. Die meisten Reiseziele erreichen wir mit dem Zug. Flüge machen vielleicht einen Anteil von zehn Prozent aus. Diese kompensieren wir mithilfe des Kompensationsprojekts von BOKU und Caritas. Außerdem: Man muss auch nicht immer so weit fort. Der eigene Horizont lässt sich auch in der näheren Umgebung weiten.

kofferpacken.at: Kannst du dafür ein paar Beispiele nennen?

Christoph Mülleder: Wir bieten sozialpolitische Städtereisen an, etwa nach Brüssel, Budapest, London oder Wien. Außerdem laden wir zum Fernwandern ein, zum Beispiel am Franziskusweg in Italien oder am Olavsweg in Norwegen. Ich bin letztes Jahr privat drei Wochen lang von meiner Haustür weg über Mariazell bis an die slowenische Grenze gewandert, was sehr spannend war. Das Gehen ist ein wichtiger Bestandteil einer jeden Reise. Es ist das Tempo, das dem Menschen angemessen ist. Dabei nehmen wir am meisten wahr. Überhaupt sollten wir beim Reisen nicht durch fremde Orte hetzen, sondern uns genügend Zeit lassen.

Nordlichtspektakel am Polarkreis

kofferpacken.at: Worin besteht die Gefahr des Greenwashings bei „nachhaltigen” Reiseangeboten wie deinen? Und wie vermeidest du sie?

Christoph Mülleder: Ich kaufe keine vorgefertigten Pakete bei großen Reisekonzernen ein. Ich habe persönliche Kontakte vor Ort und weiß, dass die Menschen dort meine Philosophie teilen. Die Unterkünfte wähle ich persönlich aus. Auf diese Wiese kann ich sehr gut einen großen Teil von Greenwashing ausschließen. Aber ehrlich gesagt ist es praktisch nicht möglich, bei jeder Reise ausschließlich in nachhaltigen Unterkünften zu schlafen und in Bio-Restaurants zu essen. Ich bemühe mich jedenfalls sehr. Bei manchen Reisen geht es besser, bei anderen schlechter. Die Winterreise nach Rumänien treten wir etwa mit dem Zug an und wir schlafen in der Öko-Pension. Anders ist das bei China: Dorthin bringt uns zwar auch der Zug, vor Ort gibt es aber weniger nachhaltige Möglichkeiten.

Winterwandern in Schwedisch-Lappland

kofferpacken.at: Du empfiehlst, sich beim Reisen viel Zeit zu lassen. Selbst warst du schon drei Mal mit der Transsibirischen Eisenbahn unterwegs, hast diese Reise auch im Angebots-Repertoire. Welche Erinnerungen hast du ans gefühlt endlos lange Zugfahren?

Christoph Mülleder: Eine Fahrt mit der Transsib ist das vollkommene Entschleunigungsprogramm. Bei dieser Art des Reisens kann ich persönlich am meisten zur Ruhe kommen. Auf einmal hat man so viel Zeit. Es gibt keinen Plan, nicht einmal geregelte Essenszeiten. Das lässt das Gefühl der absoluten Freiheit aufkommen. Fad ist das aber nicht. Man schläft ohne Wecker aus und hat genügend Zeit für Gespräche. Wenn man nach vier Tagen zum ersten Mal aussteigt und die Gesichter ganz anders aussehen als daheim, spürt man die zurückgelegte Entfernung regelrecht.

kofferpacken.at: Schätzen wir Menschen das Privileg Reisen ausreichend?

Christoph Mülleder: Sicherlich nicht. Für viele ist es heute selbstverständlich, sich ein Billigticket irgendwohin in die Ferne zu besorgen. Es ist für sie ein Konsumgut wie alle anderen auch. Ich denke, die Menschen, die mit Weltanschauen unterwegs sind, blicken etwas differenzierter auf das Thema. Und persönlich finde ich: Es ist unsere Verantwortung, mit dem Privileg des Reisens umsichtig umzugehen. Wir sollten es nutzen, um uns weiterzuentwickeln, wichtige Fragen zu stellen und vielleicht ein paar Schritte weiter zu kommen.

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Christoph Mülleder von WeltanschauenChristoph Mülleder, Jahrgang 1966, hat in Linz Betriebswirtschaftslehre studiert und den Studiengang Internationale Humanitäre Hilfe in Belgien absolviert. Seit 1992 ist er im Bereich Humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit tätig. Seit 1998 ist er als Caritas-Auslandsreferent in Rumänien und Serbien für Projekte vor Ort mitverantwortlich. Heute betreibt er hauptberuflich das nachhaltige Reisebüro Weltanschauen, wo er von Gallneukirchen (OÖ) aus ökologisch-soziale Gruppenreisen anbietet.

(Foto: Otto Hainzl)

 

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