Tourismus in Birma (Myanmar): Urlaubsparadies in Unruhe

Wie geht es mit dem Tourismus in Birma (Myanmar) weiter?
Blick auf die ehemalige Königsstadt Bagan mit ihren mehr als 2.000 Tempeln, Pagoden und anderen Heiligtümern. Wo sich einst Touristenscharen tummelten, herrscht jetzt Stille.
Vom touristischen Geheimtipp zum politischen Ausnahmezustand: Was macht das mit den Menschen im Land? Tourismusexpertin Nicole Häusler teilt im Interview ihre Einschäztungen über Birma (Myanmar).

Birma (Myanmar) galt in den vergangenen Jahren zunehmend als Urlaubsparadies. Es war schick geworden, das „Land der goldenen Pagoden“ zu bereisen. Die Jahrzehnte lange Militärdiktatur war einem Demokratisierungsprozess gewichen, der Tourismus stark im Kommen. Seit sich das Militär im Februar 2021 wieder an die Macht zurückgeputscht hat, herrscht der Ausnahmezustand. Bei Protesten kamen mehr als 700 Menschen ums Leben, Tausende wurden verhaftet. Laut dem Welternährungsprogramm der UNO sind Millionen von Menschen von Hunger bedroht. Wie geht es den Menschen in einem Land, das vom Öffnungsprozess zurück zur Militärregierung katapultiert wurde?

Die deutsche Tourismusberaterin Nicole Häusler lebt und arbeitet seit 2013 neben Berlin auch in Birma (Myanmar). Dort hat sie in den vergangenen Jahren versucht, einen ökologisch und sozial verträglichen Tourismus mitaufzubauen. Aufgrund der Unruhen ist sie vorübergehend nach Thailand ausgewichen. kofferpacken.at hat im Videointerview nachgefragt: Wie schätzt sie die Lage in Birma (Myanmar) ein? Und wie beurteilt die Tourismuskennerin die Zukunft des Landes?

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kofferpacken.at: Bekommen Länder wir Birma (Myanmar) vielleicht gerade deshalb ausreichend Aufmerksamkeit in der politischen Berichterstattung, weil sie mittlerweile auch vom Tourismus entdeckt wurden und beliebte Reiseziele sind?

Nicole Häusler: Ja, auf jeden Fall. Wer ein Land einmal bereist hat, hat eine viel emotionalere Beziehung dazu. Ich hoffe für Birma (Myanmar) auch auf Unterstützung von außen, damit der Widerstand organisiert werden kann.

kofferpacken.at: In der Zeit des Militärregimes galten Reisen nach Birma (Myanmar) als ethisch fragwürdig. Es folgten eine zunehmende touristische Öffnung und ein langsamer Demokratisierungsprozess. Sie waren seit 2013 daran beteiligt, den Tourismus vor Ort mitzuentwickeln. Wurden Sie dafür kritisiert?

Nicole Häusler: Ich musste mich oft rechtfertigen, warum ich in Birma (Myanmar) arbeite. Denn natürlich spielte das Militär auch in den letzten Jahren im Hintergrund eine Rolle. Trotzdem war für mich klar: Ich bin hier, weil ich Jugendliche ausbilden möchte. Sie haben diese Chance verdient. Durch meine Arbeit kann ich zumindest diese Generation erreichen. Dann sehen wir weiter, wie die Saat in zehn oder 20 Jahren weitergehen wird. Auf Seiten der jungen Menschen war sehr viel Wissensbedarf und Energie da. Das sieht man jetzt auch am Widerstand. Er wird von der jungen Generation, den 18- bis 30-Jährigen, angeführt.

kofferpacken.at: Wofür kämpfen die Demonstranten? Wie wollen sie leben?

Nicole Häusler: Ganz klar: Sie wollen nicht zurückgehen zu einem Myanmar wir vor 15 Jahren. Sie wollen nicht vom Militär geführt werden. Sie glauben auch nicht daran, was das Militär verspricht. Sie wollen eines der demokratischsten Länder der Welt haben mit vielen innovativen Ideen. Die meisten der jungen Leute, mit denen ich in der Tourismusausbildung zusammengearbeitet habe, sind bereit, dafür auch zu sterben. Ich hoffe es nicht, aber: Es wird wahrscheinlich noch sehr viel Blut fließen.

kofferpacken.at: Wie ist denn die aktuelle Situation in Birma (Myanmar)?

Nicole Häusler: Niemand weiß es wirklich. Man versucht, im Hintergrund eine Parallelarmee aufzubauen. Dort sollen sich die kleinen ethnischen Armeen, die bisher nicht bereit waren zu kooperieren, zusammentun. Ob das wirklich aufgeht, wird man sehen. Es gibt viele junge Leute, die jetzt aus den Großstädten aufs Land gehen, um sich diesen ethnischen Armeen anzuschließen. Es gab Millionen von Spenden von Auslandsburmesen, um Waffen einzukaufen. Die einen sagen: Wir stehen kurz vor einem Bürgerkrieg. Die anderen sagen: Durch den zivilen Ungehorsam wird das Land innerhalb der nächsten Monate kollabieren und damit auch das Militär.

kofferpacken.at: Ist der Tourismus mit dem Militärputsch zum Erliegen gekommen?

Nicole Häusler: Im Moment haben die Unterkünfte die Anordnung vom Tourismusministerium, dass sie offenhalten müssen. In den vergangenen Jahren gab es sehr viel Inlandstourismus. Auch jetzt will das Militär, dass die Leute reisen. Man möchte eine Normalität vorspielen, die es nicht gibt. Menschen werden zunehmend auf der Straße erschossen, aufgehalten oder es wird ihnen Geld abgenommen. Kein Mensch reist jetzt oder hat das Bedürfnis danach. Das Militär hatte auch beim Neujahrsfest Mitte April zum Feiern aufgefordert. Aber die Menschen haben stattdessen „silent days“ ausgerufen. Sie sind zu Hause geblieben, um dem Militär zu zeigen: Wir wollen nichts mit euch zu tun haben.

kofferpacken.at: Wie wird es mit dem Tourismus in Birma (Myanmar) weitergehen?

Nicole Häusler: Ich habe dem Tourismus-Marketing vor einiger Zeit dabei geholfen, ein „white paper“ zu formulieren. Darin ging es um die Frage: Wie soll sich der Tourismus nach der Corona-Pandemie in Birma (Myanmar) entwickeln? Die Aussage ging eindeutig hin zu einer nachhaltigeren Entwicklung, die kleinere, mittelständische Unternehmen miteinbezieht. Die „crownies“ im Hintergrund, die militärnah sind, viel Geld haben und früher auch Hotels gebaut hatten, sollten keine Chance mehr haben. Ich dachte: Wow, das wird immer spannender und interessanter. Aktuell sind meine Prognosen eher pessimistisch, für die nahe Zukunft und langfristig aber eher optimistisch.

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Mittlerweile hat sich in Euopa der Verein “Global Myanmar Volunteers” formiert, um von Flucht, Hunger oder Gewalt betroffene Einheimische zu unterstützen.

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Nicole Häusler, Expertin für nachhaltigen TourismusDr. Nicole Häusler hat Ethnologie und nachhaltige Tourismuswissenschaft studiert. Sie lebt als Beraterin für nachhaltigen Tourismus in Berlin und Birma (Myanmar). Als Honorarprofessorin unterrichtet sie seit vielen Jahren an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde im Bereich nachhaltiges Tourismusmanagement. (Foto: privat)

 

 

 

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