Berlin-Neukölln: “Besser als sein Ruf”

Cafe Dritter Raum in Berlin Neukoelln
Besuch im Café Dritter Raum in Berlin-Neukölln
Der Norden des berühmtesten Berliner Problem-Bezirks entpuppt sich als gemütliche Ecke mit öffentlichem Wohnzimmer - noch. Droht auch hier die Gentrifizierung?
Cafe in Neukölln
Hat sein Glück in Neukölln gefunden: Café-Betreiber Rolf Sindermann.

Schießereien, Jugendarbeitslosigkeit, Armut, Schwierigkeiten mit Migranten: Neukölln gilt als Problem-Bezirk Berlins. Aber zumindest der Norden des Kiezes sieht anders aus, als man vermuten würde. Da ist zum Beispiel die Weserstraße, die trotz ihrer Kneipen und Bars eine gediegene Ruhe ausstrahlt. Oder das alte böhmische Viertel Rixdorf, also die Straßen und Plätze rund um den Richardplatz. Wer auf dem Kopfsteinpflaster wandelt und zwischen üppigen Gärten kleine Restaurants, Läden und Cafés entdeckt, fühlt sich eher wie in einem (netten) Kaff am Lande als in der Hauptstadt Deuschlands.

Cafe Dritter Raum in Berlin Neukölln
Immer mehr Touristen zieht es nach Neukölln: Diese zwei New Yorkerinnen sind über einen Blog auf Sindermanns Café “Dritter Raum” aufmerksam geworden.

Ein Stadtteil im Umbruch

Viele Berlin-Besucher zieht es in den überfüllten Bezirk Mitte, ins schicke Schöneberg oder in das touristische Szene-Viertel Kreuzberg. Dabei lässt sich in Nord-Neukölln die Stadt ganz in Ruhe und abseits ausgelatschter Pfade entdecken – noch. Denn die Gegend ist gerade dabei, sich um 180 Grad zu drehen.

Café “Dritter Raum” als Kiez-Wohnzimmer

In den letzen Jahren sind Selbstständige, Künstler und Studenten wegen der günstigen Mieten in die Gegend gezogen. “Hier hat sich gewaltig was getan”, sagt auch Rolf Sindermann. Ihn selbst hat es vor fast fünf Jahren als Student in den Kiez verschlagen. Als ihm das Geld ausging machte er kurzerhand das Café “Dritter Raum” auf. Gewohnt hatte er ja sowieso schon in dem typischen Berliner Ladenlokal, das üblicherweise vorne einen Laden und hinten einen kleinen Wohnbereich hat. Wo jetzt ein Sofa für die Cafébesucher steht, hat er früher geschlafen.

Grünes Neukölln, Berlin
Kopfsteinpflaster und gepflegte Gärten: So sieht Neukölln im Norden aus.

“Am Anfang waren wir hier die einzigen, die kein Spielcasino oder keinen Imbiss hatten”, erinnert er sich zurück, als die Gegend noch wenig Charme hatte. Warum er sein Café “Dritter Raum” genannt hat? “Die meisten Leute haben eine Zwei-Zimmer-Wohnung, deshalb wollten wir ein öffentliches Wohnzimmer, einen dritten Raum schaffen.”

Viele Gäste sind aus der Gegend. Das findet Sindermann gut. “Wir wollten kein Café, das als Fremdkörper im Kiez sitzt.” Der Laden, so der 30-Jährige, soll nämlich auch zur Nachbarschaftspflege beitragen. Deshalb organisiert er regelmäßig einen nachbarschaftlichen Tauschring und wer mal ein größeres Transportmittel braucht, kann sich sein “Kiezmobil” – ein Lastenradgespann – ausleihen.

Tourismus in Neukölln, Berlin
Klaus Thorn lebt seit 40 Jahren in Neukölln und berät seit einiger Zeit Touristen. Er findet die Aufwertung des Kiezes “großartig”.

Heißes Thema Gentrifizierung

Neben den Neuköllnern kommen auch immer mehr Touristen vorbei. Zum Beispiel zwei New Yorkerinnen auf Europa-Trip, die in einem Blog über das Café gelesen haben. Schon werden Schreie laut, das Viertel könnte gentrifiziert werden, die Preise rasant steigen. Das Thema ist in Berlin sowieso ein heißes Eisen, andere Viertel haben es vorgelebt: Sie wurden saniert, durch Cafés und Galerien aufgewertet, die Preise stiegen. Das zog Wohlhabende an und sorgte dafür, dass Alteingesessene an den Stadtrand ziehen mussten. Sindermann sieht das locker. “Solange der Tourismus im normalen Bereich bleibt, ist das ok.”

“Jetzt ist alles großartig”

Die Mieten seien durch die Aufwertung des Bezirkes schon jetzt gestiegen, entgegnet Klaus Thorn, 62. Für die Geschäftsleute sei der ansteigende Tourismus natürlich von Vorteil, die Bewohner würden sich vor weiteren Mieterhöhungen fürchten.

Thorn holt weit aus und erzählt über die Geschichte Nord-Neuköllns, das bis 1912 Rixdorf hieß und eine eigene Stadt war. Früher war er Verkäufer für Stereoanlagen, heute ist er Hartz IV-Empfänger und verdient sich in der privaten Touristeninformation Kreative Gesellschaft Berlin etwas dazu.

Dass sein Stadtteil einen so schlechten Ruf hat, kann Thorn nicht verstehen: “Neukölln ist besser als sein Ruf”, konstatiert er überzeugt und mit waschechtem Berliner Akzent. “Ich wohne seit 40 Jahren hier und mir ist noch nie etwas passiert.” Außerdem gebe es “Türken, die sind deutscher als die Deutschen.” Vor 40 Jahren sei es hier dreckig, laut und stinkig gewesen, “jetzt, finde ich, ist alles großartig geworden.”

 

Koffer packen und los geht’s:

Das Café „Dritter Raum in Berlin-Neukölln hat einen netten Gastgarten, Samstag und Sonntag gibt’s einen Frühstücksbrunch (Reservieren!).

Infos über Neukölln: Private Touristeninformation Kreative Gesellschaft Berlin – www.kgb44.de

Übernachten: www.huettenpalast.de

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